Das Aggressionsverhalten des Hundes

Seminar mit Clarissa von Reinhardt (Deutschland) 23.-24.7.2005

Aggression ist die gegnerische Auseinandersetzung mit Artgenossen (innerartliche Aggression) oder mit Vertretern einer anderen Art (zwischenartliche Aggression). Dabei ist das Aggressionsverhalten stark ritualisiert, es ist von sehr eindeutigem Ausdrucksverhalten und es sieht meist gefährlicher aus, als es ist.

Aggressivität ist die Bereitschaft zur gegnerischen Auseinandersetzung. Sie wird beeinflusst von:

·        der genetischen Disposition / Zuchtlinie bestimmter Rassen

·        Umwelteinflüssen (besonders in der frühen Ontogenese, also beim Welpen)

·        sozialem Umfeld

·        der Bindung an Artgenossen / Menschen / andere Tiere; d.h.: Was mir vertraut ist, dem begegne ich friedlich und freundlich.

·        der Einhaltung von Distanzen

·        endogenen Faktoren, wie Läufigkeit, Trächtigkeit, dem Mitführen von Jungtieren, Tagesrhythmik (z.B. Herdenschutzhunde, die v.a. im Dunkeln die Herde vor dem Angriff von Raubtieren schützen mussten)

·        Geschlecht; Hündinnen haben zwar eine relativ lange Anlaufphase, aber wenn es zu Auseinandersetzungen kommt, sind diese sehr heftig. Im Gegensatz kracht es bei Rüden sehr rasch, meist aber nur kurz!

·        Erfahrung / Alter – oftmals sind Schmerzen die Ursache

·        sozialem Status – z.B. Angst

·        der Erziehung - z.B. Leinenaggression ist IMMER die Schuld des Hundeführers, da dieser seinem Hund Negativverknüpfungen vermittelt hat. ODER: Ein Hundeführer, der Angst ausstrahlt, drängt seinen Hund quasi in ein Verteidigungsverhalten.

·        Störungen – Krankheit (das Fehlen von Sinnen, also Blindheit, Taubheit, … kann dazu führen, dass Hund leichter erschrecken), Ermüdung, zu viel Stress

Ziele des Aggressionsverhaltens:

·        Aggression zur Erhaltung des eigenen Lebens dient der Selbstverteidigung und der Erhaltung der Unversehrtheit.

·        Aggression zur Herstellung von Rangunterschieden tritt bei Nahrungsknappheit auf.

·        Aggression zur Herstellung einer bestimmten Distanz:

o       Territoriumsdistanzen – teilweise genetisch fixiert, z.B. im Hovawart und in Herdenschutzhunden; diese Distanzen bleiben relativ konstant (aufgestellte Ohren, aufgestellte Rute, Vorwärtstrend)

o       Beutedistanz – diese Distanz bleibt relativ konstant

o       Familiendistanz – Distanz zu anderen Hunden und Menschen im Haushalt; diese Distanz bleibt relativ konstant

o       INDIVIDUALDISTANZ – diese Distanz wird permanent neu bestimmt und ist abhängig von der Art der Begegnung:

§         Ist das Gegenüber bekannt oder fremd?

§         Welche Erfahrung hat der Hund mit dem Gegenüber?

§         Bestehen von vorne herein Sympathien / Antipathien?

§         Wie ist die momentane Stimmungslage?

§         Wie verhält sich das Gegenüber?

§         Hat der Hund Schmerzen oder körperliche Beeinträchtigungen?

§         Wie ist die individuelle Veranlagung?

§         Welche erwünschten, aber auch unerwünschten / unbedachten Einwirkungen des Besitzers gibt oder gab es?

Motivationen für Aggressionsverhalten:

·        Allgemeine Verteidigung gegen Schmerz, Schreck, Feinde, …
- steigert sich, wenn Junge geführt werden
- angstbedingtes Verhalten verstärkt sich durch Strafe und durch Bestätigung
      (Ohren angelegt, Augen weit offen, Rute unten oder geklemmt)
- werden Menschen gebissen, fällt dies oft in diese Kategorie
- Ein Hund muss sich nicht alles gefallen lassen. Jedes Lebewesen hat das Recht, sich bei Bedrohung oder Angriff zu wehren – auch gegen Menschen!

·        Angriffsbereitschaft gegen Beutetiere – ist stark gekoppelt an das Appetenzverhalten, d.h. je hungriger ein Tier ist, desto größer ist seine Angriffsbereitschaft.

·        Aggression gegen Geschlechtsrivalen, v.a. während der Läufigkeit der Hündin.

·        Gegenangriff, wenn eine bestimmte Distanz unterschritten wird und der Fluchtweg abgeschnitten ist.

·        Aggression zur Territoriumsverteidigung – dabei werden Lebensgrundlagen, wie die Aufzuchtstätte für die Jungen, Wasser und Nahrungsressourcen gesichert.

·        Aggression durch Stimmungsübertragung – sollten 2 Hunde aus einer Gruppe zu raufen beginnen, müssen schnellstmöglich die anderen Hunde aus diesem Bereich entfernt werden, sonst hat man gleich die schönst Gruppenrauferei!

Das Ausdrucksverhalten:

Bei der offensiv-aggressiven Reaktion werden die Zähne gebleckt, Augen und Ohren sind nach vorne gerichtet und die Pupillen sind starr. Das heißt: STOPP und keinen Schritt weiter.

Defensiv-aggressive Reaktion wird gezeigt, wenn der Hund Ruhe haben will oder einen Fluchtweg sucht.

Beide Formen sind bis zum Ernstkampf hin stark ritualisiert. Solange das Aggressionsverhalten noch ritualisiert ist, handelt es sich um gehemmtes Aggressionsverhalten.

Der Angriff zum Ernstkampf – d.h. Ziel dieses Kampfes sind Verletzung oder Tötung – ist freies Aggressionsverhalten.

 

Aggressionsverhalten im Denkmodell:

 

offensives Aggressionsverhalten

 

defensives Aggressionsverhalten

 

demonstrieren

 

ritualisiertes

Aggressionsverhalten

aktive / passive Demut

imponieren

Unterwerfung

drohen

Defensivdrohen

 

 

Angriff

Kommentkampf

ritualisiertes Angriffsverhalten

 

Verteidigung

 

Kampf

Ernstkampf mit Beschädigungsabsicht

Bisse in Kehle, Bauchdecke, Vorderläufe

Kampf

Gewinn

Flucht

 

Durch den Menschen hervorgerufene oder gesteigerte Aggressivität:

·        Zuchtziele

·        Fehlverknüpfungen / unbewusste Bestätigung

·        mangelnde Sozialisierung auf Menschen, Artgenossen, andere Tiere und Umwelteinflüsse

·        Trainingsmethoden, wie Schutzdienst, Wachhunde, Hundekämpfe, Futterabgabe

·        mangelndes Fachwissen über:

o       Ausdrucksverhalten

o       Verhalten im Allgemeinen

o       Rangordnung und Dominanz

o       Stress

o       Reizüberflutung

o       Überforderung

o       Beschwichtigungssignale

Jedes Mal, wenn ein Hund ein Problemverhalten zeigt, verstärkt, verfestigt und perfektioniert es sich. Daher kann die Lösung des Problems NICHT sein, dass man den Hund in das unerwünschte Verhalten drängt, um es dann zu bestrafen!!!

Tatsächlich muss man an den Ursachen arbeiten, anstatt nur die Symptome zu bekämpfen!!!

Was tun gegen Stress?

·        Stressreduktion, aber richtig; d.h. man darf den Stresslevel nicht von 100 auf 0 senken, da die ausgeschiedenen Endorphine wie eine Droge wirken und ihr Ausbleiben zu Entzugserscheinungen und Depressionen führt (vgl. Leistungssportler). Man versucht zunächst den Stresslevel zu halbieren und nach 1 Monat um weitere 20% zu senken. Sollte es nötig sein, kann man den Stresslevel danach langsam noch weiter absenken.

·        Schulung des Hundeführers.

·        Einsatz der Beschwichtigungssignale.

·        „Elternschaft“ bzw. Partnerschaft statt Dominanz.

·        Verantwortung übernehmen / Vertrauen schaffen.

·        Souveräne Führung, d.h. auch mal auf Vorschläge des Hundes eingehen.

·        Vermeidungsstrategien – also den Stressauslöser meiden.

·        Managementmaßnahmen

·        ev. Futterumstellung

Trainingsprogramme:

·        Vorbereitung des Geländes / Raumes:
Im Idealfall verfügt das Gelände / der Raum über mehrere Ausgänge. Das wovor sich der Hund fürchtet bzw. das wogegen er aggressiv ist, ist nicht im Raum.

·        Der Hund soll nicht in Bedrängnis gebracht werden, geht er zur Tür oder sieht er mehrfach hin, darf er auch hinaus!!!

·        Zur Ablenkung bzw. als Sichtschutz für den Hund sind ein paar Dinge aufgestellt: großer aufgespannter Sonnenschirm, Kasten, umgekippter Tisch. Außerdem liegen Spielsachen herum.

·        Direkt an der Eingangstüre sind Leckerli ausgestreut (Käsewürfel), damit der Hund in eine positive Erwartungshaltung gebracht wird. Sollte der Hund derart aufgeregt sein, dass er die Leckerli nicht annimmt, findet an diesem Tag noch kein Training statt. Training macht nur dann Sinn, wenn der Hund entspannt ist und der Situation vertraut.

·        Die ersten 3-5 Trainingseinheiten dienen dazu, dass der Hund den Trainer kennen lernen kann. Parallel dazu wird mit dem Hundeführer theoretisches Wissen aufgearbeitet. Dann erst wird das konkrete Problem angegangen.

·        Die Arbeit erfolgt mit menschlichen und hundlichen Figuranten unterschiedlicher Größe, Rasse, Geschlecht, ...
Dabei ist der Trainer für alles und jeden verantwortlich. Es muss sichergestellt sein, dass alle Menschen und Hunde zuverlässig das tun, was man von ihnen verlangt.

·        Der Besitzer ist während des gesamten Trainings anwesend, denn er soll ja lernen, wie das Training aufgebaut wird und warum sein Hund wie reagiert.

·        Ein Trainingshandbuch wird geführt. Darin wird zunächst die grundlegende Einschätzung des Trainer eingetragen und in der Folge: Warum haben wir Was Wann Wie lange und mit Welchem Ergebnis gemacht. Außerdem enthält das Buch eine Bücherliste für das konkrete Problem.

·        Es finden jeweils 2-3 Trainings / Tag à 15 Minuten statt. Nach 4-5 Tagen hat der Hund 1 Tag Pause.

·        Shaping, d.h. Zerlegung einer Übung in viele kleine Einzelschritte.

·        Es wird nie an mehreren Problemen gleichzeitig trainiert, sondern man muss Prioritäten setzen. Ist ein Problem gelöst, folgt eine Pause, in der sich das erlernte festigen muss. Danach erst wird das nächste Problem angegangen.

·        Der Hund soll positive Erfahrungen mit Situationen oder Personen sammeln

·        Es sollen Freiräume zum eigenen Handeln geschaffen werden. D.h. der Hund darf mitentscheiden, wie weit er gehen kann.

·        Changing the association: Dem Hund wird er angst- bzw. aggressionsauslösende Reiz auf große Distanz präsentiert und man schlendert mit dem Hund einfach mal ein bisschen herum. Belohnung, also z.B. Käsewürfel, wird mit einem Codewort verknüpft und immer dann gegeben, wenn ruhiger Blickkontakt mit dem Reizauslöser gehalten wird. Bei Abwehrsignalen (z.B. knurren) wird der Hund sofort aus dieser Situation gebracht.

·        Stimme = Stimmung, daher wird die reizauslösende Situation mit Hilfe der säuselnden, leise dahinredenden Stimme in beruhigend-freundlichem Tonfall entschärft. Klicker ist kontraproduktiv, da der Klick die Kommunikation des Hundes mit dem Objekt des Schreckens unterbricht.

·        Erlaubt es die Situation, beginnt man große (und dann kleiner werdende) Bögen zu laufen und zwar mit Hilfe von „Pufferpersonen“ (Doppelsplitten). Der Hund darf natürlich dort, wo der Reizauslöser gegangen ist, schnüffeln. Es beruhigt den Hund, sich über den anderen erkundigen zu können.

·        Schlangenlinien laufen, statt aufeinander zu hechten!

·        Richtiger Umgang mit der Leine – kein Ziehen, kein Rucken!!!

·        Den Hund hinschauen lassen, nicht ablenken.

·        Urinieren und Koten ist erlaubt (Stress).

·        Der Hundeführer muss unbedingt Ruhe ausstrahlen.

·        Loben!

·        Das Timing muss stimmen.

·        Dem Hund keine Ruhekommandos auferlegen – er soll Handlungsfreiraum haben.

·        Die Übungssequenzen kurz halten.

·        Nach 4-8 Wochen Trainingspause beginnt das Arbeiten am Zaun: Schafft der Hund es, auf 1-1,5m Distanz zum Reizauslöser ruhig zu bleiben, beginnt das Training am Gitterzaun (engmaschig). Benimmt sich der Hund an der lockeren Leine gut, wird er abgeleint und erhält Leckerli. Weiteres Training wird dann am Stabzaun (Stäbe rel. weit auseinander) weitergeführt – wieder zunächst mit, dann ohne Leine. Schließlich ist dann der Figurant dem Problemhund frei zugänglich – mit und ohne Leine. Danach erst beginnt man, mit neuen / fremden Figuranten zu arbeiten. Die „Krönung“ ist dann der Spaziergang mit und letztlich ohne Leine.

 

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